Abschlussgala der eat! berlin 2019 – Auszeichnung für Jürgen Dollase

Abschlussgala der eat! berlin 2019 – Auszeichnung für Jürgen Dollase

Laudatio für den Preis für das Lebenswerk von Jürgen Dollase
Geschrieben und gelesen von Ralf Bos
Berlin – Hotel Waldorf Astoria am 3.3.2019

Es war im kalten Winter 1948 in zerbombten Oberhausen, um genau zu sein am 16. September – damals waren die Winter bedeutend länger als heute – als Jürgen auf die Welt kam.

Dass man im kalten Winter 48 geboren wurde, ist jetzt kein Grund einen Preis für sein Lebenswerk zu bekommen. Das ist in dem Jahr noch fast einer Million anderer Leute in Deutschland gelungen.

Um einen Preis für sein Lebenswerk in dieser Veranstaltung verliehen zu bekommen, muss man in erster Linie sehr klug sein.

Wie klug Jürgen ist, und warum er den Preis erhält, das werde ich Ihnen in dieser Laudatio erklären.

1970 war Jürgen 22 Jahre alt und hatte die drei wichtigsten Fächer, die man hier bei uns in Deutschland braucht um grenzenlosen Erfolg zu generieren, studiert:

Kunst, Musik und Philosophie in Düsseldorf und Köln.

Er gründete aufbauend auf sein Studium eine Band und benannte sie nach einem Feldherrn aus dem 30-jährigen Krieg – Wallenstein, nicht zuletzt um darauf hinzuweisen, dass der Krieg eine furchtbare Sache ist und dass es manchmal 30 Jahre lang dauert, bis so ein Krieg endlich vorbei ist, und dass man so einen Mist doch Bitteschön lassen sollte.

Ich sagte schon, er ist klug, der Jürgen.

Wallenstein war für den angestrebten Artrock sehr erfolgreich. Man bezeichnete den Musikstil auch gerne als Drogentester-Musik.

Ich selbst war in der Hoch-Zeit von Wallenstein 16 Jahre alt und hatte, inspiriert von Musik und der Düsseldorfer Altstadt, die Idee, ein Buch zu schreiben. Der Titel sollte sein: Berichte eines Drogentesters. Und es sollte besonders das Zusammenspiel verschiedener Drogen mit unterschiedlicher Musik beleuchten.

Hätte ich Jürgen früher kennengelernt, wäre er mit Sicherheit ein großartiger Co-Autor geworden und das Projekt wäre realisiert worden.

Weil er ja sehr klug ist.

1978 fragte man Jürgen, warum Wallenstein eigentlich noch keinen Hit hätte. Jürgen sagte wahrheitsgemäß: „Weil ich noch keinen geschrieben habe.“

Man sagte: Dann schreib doch mal einen. Jürgen sagte: OK. Eigentlich mehr, weil er sich selbst beweisen wollte, dass er es kann, denn als Artrocker ist man nicht Mainstream und der Hit ist nicht das Ziel jedweder Begierde. Es ist die Kunst, die man Leben will und die man ausdrücken möchte. Nicht der Kommerz.

Aber wenn man es schon mal gesagt hat, dann wird es auch gemacht.

Heraus kam dieses: der Song „Charline“ von Wallenstein, veröffentlicht 1979.

Charline ging durch die Decke. Er war der Song, der als erster Song einer neuen Krautrock Bewegung in der Tagesschau vorgestellt wurde und Wallenstein war die erste Artrock Gruppe, die in Ilja Richters Disco auftreten musste. Noch heute wird dieses Lied in Clubs und von Radiosendern gespielt.

Versprechen eingelöst.

Ich sag ja, der Jürgen ist sehr klug.

Klug und talentiert. Das spült uns in die zweite Schaffensphase des jungen Künstlers. Gelangweilt vom Erfolg und angeekelt von der Hitparade löste er 1983 Wallenstein auf und widmete sich der Malerei.

Er beherrschte alle Arten der Malerei, abstrakt wie konkret, expressionistisch wie klassizistisch, Popart wie Avantgardistisches, Foto realistisch in Aquarell und Öl. Das schaffen neuer Stilrichtungen wie das Kopieren alter Meister. Und er beherrschte und beherrscht alle diese Stile und Techniken brillant.

Ich kann das hier jetzt nicht nur behaupten, weil ich viele seiner Werke bereits begutachten durfte, nein, ich kann es auch behaupten, weil ich mir sehr sicher sein kann, dass sie keines seiner vielen Dutzend Kunstwerke je zu Gesicht bekommen werden.

Der Grund dafür ist folgender. Jürgen hat noch nie eins seiner Bilder verkauft. Das hört sich jetzt erstmal so an, als wenn es keinen Markt für seine Bilder gibt. Das ist falsch.

Jürgen hat nicht nur noch nie eins seiner Bilder verkauft, er hat sogar noch nie eins seiner Bilder angeboten. Es gibt und gab keine Vernissagen und keine Galerien, die je ein Bild von Jürgen bekommen haben.

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Jürgen hat seine Bilder nicht für den Kommerz geschaffen, sondern weil er Kunst lebt. Und seine Werke sind großartig.

Solange sie aber nicht bei Jürgen und Bärbel zum Essen eingeladen werden, oder sein Dach neu decken oder so was, werden sie diese Kunstwerke vermutlich nie zu Gesicht bekommen.

Ich habe bereits betont, Jürgen ist klug. Also jetzt nicht so in der Art klug, wie sie und ich. Nein er ist äh… anders klug.

Mit seiner Kunst hat er sich in diesem Raum auch zu einem, sagen wir mal, Sonderling gemacht.

Charline und viele andere seiner Stücke werden heute noch gespielt und gecovert, sind auf Rotation Lists von Radiosendern auf der ganzen Welt und spielen deshalb immer noch Tantiemen in Jürgens Tasche.

Diese Tantiemen werden von der GEMA verwaltet und verteilt.

Was ihn zu einem Sonderling in diesem Raum macht, ist nicht seine Einstellung und seine enge Beziehung zur Kunst. Nein, es ist die Tatsache, dass er mit Sicherheit der einzige Mensch in diesem Raum ist, der der GEMA ernsthaft Sympathie entgegenbringt.

In dieser Zeit lernte Jürgen Bärbel kennen.
Alle Menschen, die Bärbel kennen lernen, lieben Bärbel.
Natürlich auch Jürgen. Und weil Jürgen klug ist, wurden sie ein Paar.
Bis Bärbel in sein Leben trat ernährte sich Jürgen standesgemäß:
Morgens 2 Aspirin.
Mittags was da ist. Cornflakes mit Cola aufgefüllt oder so was.
Abends was Vernünftiges: Bratwurst, Currywurst, Frikadelle oder Hamburger, mit und ohne Pommes, gerne ohne Salat.

Bärbel kam aus einer anderen Welt. Aus einer kulinarischen Welt mit Menüs und mit speisebegleitenden Weinen, einem Aperitif und einem Digestiv, einem Küchenchef, einem Oberkellner, einer Tischdecke, Servietten aus Damast und Besteck aus reinem Silber. Und Bärbel aß sehr gerne.

Bärbel griff den Ring an Jürgens Nase und zog ihn in diese Welt hinein. Er folgte ihr gerne, denn Jürgen ist ja, wie gesagt, klug.

Jetzt folgte eine Transformation, die eine Reihe von Jahren dauerte und die aus Jürgen „Dollase“ machte.

„Dollase“ ist kein Nachname. „Dollase“ ist eine Stilrichtung der Analyse der Küche. „Dollase“ ist die Analyse der Küche. Er hat in seiner Transformation fast jede Position der Analyse der Küche, der Zutaten, der Gerichte, der Teller und allen anderen Faktoren der Kulinarik mehr oder weniger lang besetzt.

Manifestiert durch mehr als 150 analytische Restaurantbesuche jedes Jahr und in tausenden Artikeln, die eines immer gleich haben.

Sie sind klug. Sie sind so klug, dass man durch das Lesen dieser Artikel klüger wird.

Ein Dollase-Artikel wirkt manchmal etwas verkopft, sagen einige. Das hat natürlich mit der Analyse zu tun. Analytische Texte muss man lesen um sie zu verstehen. Querlesen oder Überfliegen funktioniert da nicht. Das funktioniert bei Bildzeitungstexten. Die sind aber dafür auch nicht analytisch und nicht… ist jemand von der Bildzeitung hier?

Dollase Texte sind also erstmal nix für Bildzeitungsleser. Dafür ist Dollase zu klug.

Schlussendlich ist das dabei rausgekommen, was dazu führt, dass er heute hier den Preis für sein Lebenswerk verliehen bekommt. Und dieses Lebenswerk besteht nicht nur, aber auch aus seiner Musik, seiner Kunst und seinen Bildern. Es besteht auch nicht nur aus den heute schon 18 Koch- und Gastrosophie-Büchern, die er der Nachwelt hinterlässt. Nicht aus den Hunderten Restaurantkritiken für die FAS, die FAZ, den Feinschmecker, www.eat-drink-think.de und andere geschrieben hat, und mit denen er sich zum wichtigsten Restaurantkritiker dieses Landes gemacht hat. Nicht aus den Dutzenden von Berichten, in denen er uns die Gastronomie unserer Nachbarländer zum Spüren nah gebracht hat. Nicht aus den Rezensionen von Hunderten von Kochbüchern, den vielen kulinarischen Essays in der FAZ und anderen Medien und nicht aus der weitereichenden und weiter gereichten Erfahrungen über die Avantgarde-Küche, denen wir seit 12 Jahren in PORT CULINAIRE folgen dürfen.

Es ist vielmehr die Veränderung einer ganzen Nation, die aus all dem oben genannten besteht und die ich gerne als die Dollasifizierung der modernen Gastronomie bezeichne.

Ich bin froh, dass er heute hier ist, und dass ich ihn meinen Freund nennen darf.

Meine sehr verehrten Damen und Herren: Jürgen Dollase

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